Abschließende Wertung
Mag auch der vorliegende Mühlenfund auf den ersten Blick dürftig erscheinen, so ermöglicht seine Analyse dennoch überproportional viele Aussagen über bauliche Einzelheiten der Geresdorfer Mühle und ist zudem aufs engste auch mit vielen Sachverhalten von lokalhistorischer Bedeutung verknüpft. Unter diesen Aspekten ist es von untergeordneter Bedeutung, daß gewisse Belange der Mühle nicht dokumentierbar sind: vorn Mühlenhaus selbst, dem vielleicht Pfosten 15 zugehörte, kann aufgrund des völligen Fehlens einer baulichen oder namenkundlichen Tradition angenommen werden, daß es aus Holz bestand[76] und mit Sicherheit auf der Landzunge zwischen dem Mühlgraben und der Thaya lag (Abb. 52). Von der flächenmäßigen Ausdehnung des Mühlengebäudes besteht aufgrund der Schleife des Weges im betreffenden Bereich wenigstens andeutungsweise eine Vorstellung[77]. Völlig offen bleibt, ob, wie in Abb. 55, trotz der Nähe einer Brücke zusätzlich auch unmittelbar oberhalb der Wasserräder ein Steg vorhanden war. Für die Kraftübertragung und das eigentliche Mahlwerk - die dem Prinzip nach konstantesten und daher "weniger" interessanten Bauteile mittelalterlicher Mühlen - kann die zeitgenössische Darstellung des sogenannten Hausbuch-Meisters (um 1480) zur Veranschaulichung dienen[78]; Mühlsteine wurden in Ahrensfelde und in Bardowick gefunden[79], doch erscheinen Analogieschlüsse ohne Berücksichtigung der jeweiligen Antriebsvariante nicht ratsam.
Ein Problemkreis, der noch kurz Beachtung verdient, ist die Frage, auf welche Weise die Geresdorfer Mühle abgekommen ist. Von ihr weiß man zwar, daß sie nach dem mutmaßlichen Wüstfallen der Dorfstätte von Geresdorf noch eine zeitlang im 15. Jahrhundert weiterbestand[80], doch hat sich - ähnlich wie bei der Bardowicker und bei der Ahrensfelder Mühle[81] - außer im Flurnamenbestand keine schriftliche oder rnündliche Tradition ihres Fortbestandes erhalten[82]. Offen bleibt ferner, ob das Verschwinden der Geresdorfer Mühle in direktem Zusammenhang mit dem Wüstfallen des Dorfes stand und inwieweit diesbezüglich die (von der lokalhistorischen Forschung generell gern überbewertete) Katastrophentheorie vor der Agrarkrisen- und der Fehlsiedlungstheorie[83] zum Tragen kommt. Ein Schlüssel zur Antwort auf diese Fragen liegt sicherlich in den noch dunklen Bereichen der Besitz- und Personengeschichte des betreffenden Raumes im Mittelalter. Von der Ausgrabung her ist jedenfalls kein klärender Beitrag hiezu möglich. Insbesondere fehlt jedes Anzeichen für eine absichtliche Zerstörung der Mühle, wie man sie etwa für die Zeit der Hussitenstürme erwarten würde[84]. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß neben den Hussiten genausogut noch eine ganze Reihe sowohl innerer, als auch äußerer zerstörerischer Kräfte als auslösendes Moment der Verödung in Frage kommt: Zu denken ist sicherlich bereits an die herzogliche Strafaktion gegen Hans von Liechtenstein und seine Familie (1395); ferner an die kriegerischen Streitigkeiten unter den Söhnen Karls IV. (um 1400), als deren Folge Hohenau zu einem Zentrum des Terrors wurde, dessen Umland so legendären Schreckgestalten wie dem "Scheckel" und dem "Dürrteufel" auf Jahre ausgeliefert war; zudem an die zahlreichen Fehden und Privatkriege der kleineren Geschlechter, die unter Umständen aus der Grenzlage in opportunistischer Gesinnung für sich selbst möglichst viel Kapital zu schlagen versuchten und denen die weiteren Wirren des 15. Jahrhunderts in dieser Hinsicht nur entgegenkommen mußten[85]. Insgesamt wird wohl am ehesten an eine Verkettung von katastrophalen Ereignissen -- als deren Auftakt sicherlich bereits die Pestjahre 1348/50 in Frage kommen - mit besitzmäßigen Veränderungen und flurbereinigenden Maßnahmen[86] zu denken sein. Die diesbezüglichen Untersuchungen bilden aber ein noch sehr weites Brachfeld der landesgeschichtlichen Forschung.
Der Mühlenfund wird hiefür zwar keinen belangvollen Beitrag leisten, doch ändert das nichts an seiner grundsätzlichen Bedeutung für die österreichische Sachkulturforschung, an der auch die diesmal leider unausweichlichen grabungstechnischen Schwierigkeiten nichts ändern können. Diese erste Mühlengrabung auf österreichischem Boden bedeutet einen wichtigen Schritt, der es verdient, als Zeichen des Aufbruches gewertet zu werden: einerseits als Wende zur Aufnahme der systematischen landeskundlichen Erforschung von Mühlen[87], andererseits als Anstoß für die in Österreich so dringliche Intensivierung der interdisziplinären Bearbeitung von Bodenfunden.